In den Klauen des Ghouls
Roman von Edgar Tarbot
Ein schemenhafter Schatten spiegelte sich in den nüchternen Fliesenwänden des Leichenschauhauses. Es war später Nachmittag. Vor einer knappen halben Stunde war ein furchtbares Unwetter über London niedergegangen. Nun hatte es zu regnen aufgehört. Aber die dunkelgrauen Wolken hingen immer noch wie eine ernste Bedrohung über der Stadt.
Schrecklich düster war es in der Leichenhalle, durch deren Milchglasfenster nur noch schwaches Tageslicht sickerte.
Ein unheimliches Seufzen zitterte durch den sterilen Saal. Es hörte sich an, als würden die hier untergebrachten Toten zu neuem Leben erwachen.
Schmatzende Geräusche kamen aus einem schummerigen Winkel. Und es bewegte sich auch etwas. Niemand ahnte, daß in dieser grauenvollen Stunde ein Dämon bei den Toten war ein Ungeheuer, ein Wesen, wie es schlimmer nicht sein konnte.
Gerade richtete sich das Scheusal lauschend auf. Es atmete unregelmäßig, hechelte, leckte sich über die Lippen.
Sein Gesicht war eine grauenerregende Fratze. Der Schädel war haarlos. Braungraue, sekretierte Hautfetzen bedeckten die schleimig schimmernden Wangen. Farblos und weit zurückgezogen waren die furchterregenden, geifernden Lippen. Schwarz-gelblich schimmerten die spitzen, gebogenen Zähne aus dem ekelhaften Maul, während in den winzigen, tiefliegenden Augen rotglühende Flammen züngelten.
Das Scheusal war ein Leichenfresser. Ein Ghoul, wie man diese Monster nannte. Furcht- und ekelerregend, wenn man sie anschaute. Unheimlich und tödlich, wenn sie einem begegneten. Ihre Fähigkeit, sich in harmlos scheinende Menschen zu verwandeln, machte sie um so gefährlicher.
Das schleimige Monster hatte seinen Hunger bereits an der ersten Leiche gestillt. Geifer troff aus seinem aufgesperrten Maul. Ein hungriges Keuchen folgte, als sich der Ghoul der zweiten Leiche, einer toten Frau, zuwandte...
*
Inspektor Abel Brighton ließ die Handbremse ratschend einrasten. Kurzatmig drehte er sich zu dem Mann um, der neben ihm saß.
Der Mann hieß Leo McMillan. Er war schwarz gekleidet, trug einen sorgfältig gestutzten Oberlippenbart und eine große Hornbrille. Die Melone hing auf dem schlanken Griff seines dunkelgrauen Regenschirms, der noch vom Regen feucht war.
Der Inspektor zuckte bedauernd die Achseln.
»Tut mir leid, Ihnen das nicht ersparen zu können, Mr. McMillan. Tut mir wirklich leid.«
McMillan schaute förmlich durch den beleibten Inspektor von New Scotland Yard hindurch. Mit ausdruckslosen Augen blickte er zur deprimierend kahlen Fassade des Leichenschauhauses hinüber.
»Ich weiß, daß es sein muß, Inspektor«, seufzte er.
»Möchten Sie vorher eine Zigarette haben?«
»Danke. Das ist nicht nötig.«
»Vielleicht tröstet Sie das, Mr. McMillan: Ihre Frau sieht aus, als würde sie schlafen.«
Leo McMillan hob den Kopf. Sein Gesicht war grau. Die Aufregung war beinahe zuviel für ihn. Tapfer kämpfte er um Fassung. Mit granitharten Zügen preßte er hervor: »Ich will sie jetzt sehen, Inspektor Brighton.«
Der Yard-Mann nickte.
»Gut, dann kommen Sie!«
Brighton öffnete den Wagenschlag und schob seine kurzen Füße nach draußen. Er war ein im Polizeidienst ergrauter Herr mit allen Vorzügen und Nachteilen eines Menschen, den der Umgang mit Gaunern und Mördern hart gemacht hat. Trotz allem hatte sich Brighton ein ganz kleines Schränkchen in seiner Seele eingerichtet, in dem er das wertvollste Gut der Menschheit aufbewahrte: das Mitgefühl. Er konnte verstehen, wie McMillan in diesem Augenblick zumute war. Deshalb sprach er mit dem Mann so wenig wie möglich und so sanft wie möglich. Es ist ein verdammt hartes Los, zu erfahren, daß man keine Frau mehr hat. Daß sie tot ist, ermordet. Und es ist schlimm, ins Leichenschauhaus zu gehen, um die Tote zu identifizieren.
Schweigend gingen sie durch die glänzenden Pfützen. Inspektor Brighton schellte. Er holte seine Zigaretten aus dem Jackett und hielt sie McMillan hin.
»Wollen Sie nicht doch eine?«
Leo McMillan schüttelte entschlossen den Kopf.
»Ich zittere am ganzen Körper«, gestand er. »Die stärkste Zigarette schafft es nicht, mich zu beruhigen.«
Abel Brighton rauchte allein. Als sich ihnen die Tür nach geraumer Zeit nicht aufgetan hatte, ließ er ein erstauntes »Nanu« hören.
»Ich habe doch angerufen und gesagt, daß wir kommen. Mr. Hawk müßte doch eigentlich...«
Hinter der schmalen gerippten Scheibe flammte Licht auf. Brightons Blick hellte sieh sofort wieder auf. Lächelnd sagte er: »Ah, da kommt er schon. Hat vermutlich seine Schuhe in der Eile nicht gefunden.« Zu McMillan sagte er erklärend: »Hawk zieht die Schuhe immer aus, müssen Sie wissen.«
Mr. Arthur Hawk öffnete die Tür mit knackenden Geräuschen. Er war klein und dünn. Der weiße Kittel hing faltig von seinen knöchernen Schultern. Er hatte unzählige Fältchen und Runzeln im Gesicht, dessen Haut irgendwie an altes Leder erinnerte.
»Na, Mr. Hawk«, brummte Inspektor Brighton.
»Wie geht's, Inspektor?« fragte Hawk freundlich.
»Ich wette, es interessiert Sie nicht wirklich«, gab Brighton zurück. Er wies auf seinen bleichen Begleiter. »Das ist Mr. Leo McMillan. Führen Sie uns zu seiner Frau!«
Die Männer traten ein. Hawk ließ die hohe Tür hinter ihnen zufallen. Ihre Schritte hallten gespenstisch durch den langen, grau verfliesten Korridor. Hawk machte überall Licht. Lange Neonröhren spendeten einen kalten, unpersönlichen und auch unnatürlichen Schein. McMillan schauderte. Während er zwischen den beiden Männern einherwankte, stiegen Tränen in seine Augen. Er hätte es noch vor ein paar Tagen nicht für möglich gehalten, daß er jemals ein Leichenschauhaus betreten würde. Er hatte nicht einmal gewußt, wo es sich befand. Dann war Cindy nicht nach Hause gekommen. Er hatte sich um sie gesorgt, hatte befürchtet, daß ihr etwas zugestoßen sei, und als er die quälende Ungewissheit nicht mehr länger ertragen konnte, war er zur Polizei gerannt. Er hatte Cindy beschrieben. Man hatte ihn von Büro zu Büro weitergereicht, bis er an Inspektor Brighton gelangt war. Der hatte ihm einen Kognak angeboten, da hatte er gewußt, was mit Cindy geschehen war. Er hatte um die Wahrheit gebeten und sie bekommen. Cindy war von einem jugendlichen Rowdy überfallen worden. Ihr Geld hatte er haben wollen. Er hatte sich auf ihre Handtasche gestürzt. Verflucht, warum hatte sie ihm das Geld nicht gegeben? Aber so war Cindy gewesen. Sie hatte sich ihr Geld nicht leicht verdient. Deshalb hing sie ebenso sehr daran wie an ihrem Leben. Und deshalb hatte sie ihr Geld mit ihrem Leben verteidigt.
Der Junge bekam es mit der Angst, als sie um Hilfe schrie. Er wollte sie zum Schweigen bringen, und er brachte sie zum Schweigen, mit seinem Messer.
Sie betraten die Halle, in der Cindy lag.
Eine Maschine sorgte für konstante Kühlung. Der kalte Hauch legte sich beklemmend auf Leo McMillans Lunge. Er atmete schwer und fuhr sich, nach Abnehmen der Brille, zweimal sehr schnell über die Augen, um die Tränen daraus zu vertreiben.
» So, Sir«, sagte Arthur Hawk, nachdem er Licht gemacht hatte.
»Danke«, versetzte der Inspektor.
»Brauchen Sie mich noch, Sir?« erkundigte sich Hawk. »Ich erwarte nämlich einen Anruf von...« »Privat, wie?«
»Ja, Sir. Meine Tochter wollte anrufen. Sie hat Schwierigkeiten mit ihrem Mann, und sie hat nur mich, wenn sie über ihre Probleme reden möchte.«
»Schon gut, Hawk. Gehen Sie nur. Das hier kann ich auch ohne Sie erledigen.«
»Sie sind sehr verständnisvoll, Sir«, sagte Hawk dankbar.
Detektiv-Inspektor Brighton lächelte bitter.
»Vielleicht kommt das daher, weil ich keine Tochter, ja nicht mal Familie habe.«
Arthur Hawk zog sich zurück.
»Bitte, kommen Sie, Mr. McMillan! Ihre Frau liegt dort drüben«, sagte Brighton.
Sie gingen etwa zehn Schritte. Plötzlich verfärbte sich Brightons Gesicht. Seine runden Augen quollen aus den Höhlen. Ekel und abgrundtiefes Grauen verzerrten seine Züge, als er das abgenagte Skelett jener Leiche sah, über die sich der Ghoul hergemacht hatte.
Bestürzt wandte sich der Inspektor um.
»H-a-w-k-!« brüllte er, so laut er konnte. »H-a-w-k-!«
Leo McMillan stand wie versteinert da.
Entsetzt starrte er auf seine tote Frau. Das gefräßige Maul des Ghouls hatte grauenerregende Spuren hinterlassen.
Einmal in vier Wochen hat auch ein Sensationsreporter das Bedürfnis, auszuspannen. Ich finde, einmal im Monat hat jeder Mensch das Recht, mit seiner Freizeit anzustellen, was ihm in den Sinn kommt, selbst wenn es noch so verrückt ist. Pausenlos Sensationen zu liefern ist bei Gott keine Kleinigkeit. Wie ich das trotzdem immer wieder schaffe, ist mir selbst ein bißchen schleierhaft. Natürlich bringe ich eine gehörige Portion Fingerspitzengefühl für diesen Job mit. Und eine gute Nase, mit der ich Übles schon meilenweit riechen kann. Der Rest besteht aus einem gekonnt ausgeklügelten System von Informanten, die immer und überall für mich die Ohren offen halten und mich sofort anrufen, wenn sie etwas für mich haben. Manche tun das aus reiner Freundschaft. Andere für Geld. Für mich war nur wichtig, daß sie es machten.
An diesem verregneten Spätnachmittag oder Frühabend hatte ich Mary Teal in unserem Klub getroffen. Mary war so ziemlich das netteste Girl, das man sich vorstellen kann. Sanft, anschmiegsam, leidenschaftlich und obendrein auch noch treu. Ich bedauerte immer dann, wenn ich mit ihr beisammen war, daß ich so wenig Zeit für sie hatte. Himmel, was hätten wir beide alles angestellt.
Wir tranken, lachten, tanzten, alberten, waren an diesem Tag nach langem wieder unbeschwert wie Kinder. Daß ich schon morgen nach Hongkong fliegen sollte, weil man da irgendein Rauschgiftsyndikat hochgehen lassen hatte, verschwieg ich Mary jetzt noch. Ich wollte ihr den Abend nicht verderben. Und auch nicht die Nacht, auf die wir uns beide schon freuten.
Mitten in die ausgelassenste Stimmung hinein platzte der Anruf. Unangenehme Telefonate kommen zumeist zur ungelegenen Zeit.
»Perry!« schrie der Kumpel hinter dem hohen, mit weinrotem Nylonsamt bespannten Tresen. »Perry Lloyd! Telefon!«
»Wer ist dran?«
»Kann ich nicht verstehen bei dem Krach.«
Mit Krach bezeichnete er die neue Single von Brian Ferry. Ich zog Mary zum Tresen und bestellte einen Juice für sie. Dann machte ich dem Disc-Jockey ein Zeichen, er möge die Phon reduzieren. Ich konnte mir solches erlauben, denn der Klub war sozusagen mein zweites Zuhause. Deshalb riefen auch alle meine Informanten hier an, wenn ich in meinem Haus nicht an den Apparat ging.
Ich nahm den Hörer auf.
»Lloyd.«
»Bist auf 'ne Super-Super-Story scharf, Perry?« fragte George Molton am anderen Ende der Leitung aufgeregt. Er saß in den »Katakomben« von New Scotland Yard, wußte aber trotzdem alles, was lief.
»Deine letzten Sensationen sind leider in die Hose gegangen, George«, sagte ich rügend.
»Diesmal nicht, Perry. Diesmal kann ich dir den ganz großen Knüller ansagen.«
Ich kannte George Molton schon lange. Wir waren zusammen zur Schule gegangen. Ich hatte ihn damals immer verprügelt, aber George war nicht nachtragend. Als die Schule zu Ende war, wurden wir Freunde. Er war einer von denen, die mich gratis mit Neuigkeiten fütterten. Ihm genügte es schon, zu wissen, daß mein beruflicher Erfolg mit ihm stand und fiel. Und ich vermittelte ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufs neue dieses Gefühl.
Da ich George Molton schon lange kannte, wußte ich natürlich auch, was ich von seinen leichtfertig angewandten Superlativen zu halten hatte.
»Was gibt's, George?« fragte ich nicht besonders interessiert. Ich war nicht gerade versessen darauf, Mary Teal ausgerechnet heute zu versetzen. Und morgen hatte ich einen Job in Hongkong.
»Weißt du, was ein Ghoul ist?« fragte George.
»Klar. Frag mich jetzt bloß nicht, wie man den schreibt. Ich hasse Kreuzworträtsel.«
»Es gibt einen Ghoul in London, Perry!«
»Ich glaube dir kein Wort, George.«
»So? Dann fahr doch mal zum Leichenschauhaus und sieh dir das Skelett an! Aber kein Wort davon, daß du den Tip von mir gekriegt hast, Perry, verstanden? Sonst mußt du mir 'nen Platz in eurer Redaktion beschaffen.«
»Gott behüte!« rief ich aus.
George legte auf.
Verdammt, ich hatte ihn noch eine Menge fragen wollen, um mir die Fahrt zum Leichenschauhaus zu ersparen.
Zornig schleuderte ich den Hörer auf die Gabel. Der Disc-Jockey fuhr mit den Phon gleich wieder nach oben. Mir war es egal. Mein Schädel dröhnte sowieso schon.
Ich sah Marys traurigen, fast leidenden Blick und verwünschte meinen Job und George Molton.
Inspektor Abel Brighton hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und auch alle dazwischenliegenden Instanzen. Man hatte das Leichenschauhaus buchstäblich auf den Kopf gestellt.
Ergebnis: keine Spur von dem Ghoul. Die Bestie schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Es gab nur noch Leichen in dem Schauhaus. Leichen und Polizisten. Abgesehen von Arthur Hawk und Leo McMillan, den man wegen des erlittenen Nervenzusammenbruchs mit einem Ambulanzwagen ins nächste Hospital brachte.
Nach getaner Arbeit verließen die Polizeibeamten mit unzufriedenen Gesichtern das gruselige Gebäude. Arthur Hawk kehrte an seinen Schreibtisch zurück und telefonierte nun endlich mit seiner unglücklichen Tochter. Was hier vorgefallen war, behielt er für sich. Erstens deshalb, weil ihn der Inspektor darum gebeten hatte, und zweitens, weil er die junge Frau mit diesen Dingen nicht belasten wollte.
Während Hawk mit tröstenden, ermahnenden und beratenden Worten auf sein Kind einredete, begann sich in jener Halle, in der Cindy McMillan lag, eine Leiche zu bewegen.
Der Mann schlug die Augen auf und blickte sich vorsichtig um. Niemand war mehr da. Er war allein. Begeistert grinste er. Er war stolz darauf, die Polizisten derart an der Nase herumgeführt zu haben.
Sie hatten ihn sich mehrmals angesehen.
»Noch 'n Toter«, hatte einer von ihnen gesagt, dann hatte er das Laken wieder über ihn gelegt.
Dieses Laken streifte der Mann nun langsam von seinem kräftigen Körper ab. Er hatte sich in einen Menschen verwandelt, als der Inspektor mit diesem anderen Mann gekommen war.
Mit einem jähen Ruck setzte sich der unheimliche Dämon auf. Er hatte immer noch Hunger. Doch er wollte frisches, warmes Fleisch haben. Diese Toten hier waren ihm zu kalt. Sie schmeckten nicht so gut wie jene, die er sich auf dem Friedhof holte. Mit bloßen Händen wühlte er sich in die frischen Gräber hinab, um die Gebeine der kürzlich erst bestatteten Leichen gierig abzunagen.
Lautlos glitt das Ungeheuer in Menschengestalt von der kalten Marmorpritsche. Nachdem der letzte Polizist die Halle verlassen hatte, war das Licht gelöscht worden.
Der Mann eilte auf die weiß schimmernde Tür zu. Er erreichte sie, ohne das geringste Geräusch zu verursachen. Es schien, als schwebte er.
Behutsam legte er die Hand mit den krallenartigen Fingern auf den glatten Lack der Tür. Als Mensch hatte er andere Hände. Doch er war nur noch zur Hälfte ein menschliches Wesen. Die andere Hälfte hatte sich bereits wieder in den grauenerregenden Ghoul zurückverwandelt.
Vorsichtig drückte er die Tür auf. Er durchschritt sie, und als sie hinter ihm zuschwang, war seine Verwandlung bereits abgeschlossen.
Das fürchterliche Monster war nun auf der Suche nach warmem Fleisch. Der Ghoul wußte, wo er welches finden konnte.
»Ich mache dir einen Vorschlag, Kleines«, sagte Arthur Hawk. »Wie du weißt, habe ich morgen den ganzen Tag frei. Schick Ronnie zu mir! Ich werde ihn gründlich ins Gebet nehmen, ihm den
Kopf waschen und... Na ja, jedenfalls bin ich überzeugt, daß damit alles wieder Ins rechte Lot zu bringen ist. Ronnie ist doch ein vernünftiger, einsichtiger junger Mann.«
»Ich rede nie wieder ein Wort mit ihm, Vater!« rief Hawks Tochter schluchzend.
»Also, Kind, so geht es nun aber wirklich nicht. In solch einem Fall müssen sich beide Teile ein bißchen entgegenkommen.«
»Ich? Ich bin doch nicht schuld daran, Dad.«
»Du mußt ihm eine Chance geben, Kind.«
»Niemals.«
»Dann geht eure Ehe kaputt. Willst du das?«
»Was kann denn daran noch kaputtgehen, Dad? Unsere Ehe besteht doch nur noch aus Scherben.«
»Man kann die Scherben aufsammeln und zusammenkitten. Man muß aber wollen.«
»Ich will nicht! Nein! Ich will nicht mehr!«
»Also möchtest du dich scheiden lassen?«
»Oh, Dad, ich bin ja so unglücklich!«
Hawk glaubte, draußen auf dem Korridor so etwas wie einen Schatten gesehen zu haben. Eine kühle Unruhe beschlich ihn. Er dachte an das Skelett in der Leichenhalle, und ihm fielen die mahnenden Worte des Inspektors ein, der ihm gesagt hatte, er solle sich vorsehen, denn man könne nicht wissen.
Seine Tochter sprach schluchzend weiter. Er hörte ihre Worte zwar, verstand aber deren Sinn nicht mehr. Etwas anderes beschäftigte ihn und lähmte sein väterliches Denken.
Etwas anderes man konnte es Angst nennen.
Obwohl sich auf dem Korridor nichts regte, blieb die Angst. Irgend etwas stimmte dort draußen nicht. In einer solchen Situation überstürzten sich die Gedanken. Man sieht schreckliche Bilder und hat eine Menge unbrauchbarer, weil undurchführbarer Ideen.
Hawk versuchte seine Furcht mit dem Einwand zu entkräften, er hätte sich getäuscht. Es kommt ab und zu schon mal vor, daß man meint, einen Schatten gesehen zu haben, ohne daß dies der Tatsache entspricht.
»Dad!« rief Hawks Tochter am anderen Ende der Leitung enttäuscht. »Dad! Du hörst mir ja gar nicht zu.«
Diese Worte verstand Arthur Hawk auch wieder dem Sinn nach.
»Doch, doch, Kleines«, beeilte er sich zu sagen. »Natürlich höre ich dir zu.«
»Was habe ich eben gesagt, Dad?«
»Nun ja... Also... Du hast gesagt... «
»Gib dir keine Mühe, Dad. Wozu haben wir überhaupt miteinander telefoniert? Es hat ja doch alles keinen Zweck.«
»Das darfst du nicht sa...«
Es klickte in der Leitung. Laut losheulend hatte Hawks Tochter aufgelegt.
»Kind!« rief er besorgt. »Kleines! Baby!«
Ratlos legte er den Hörer in die Gabel. Die Sache mit dem Schatten ließ ihm keine Ruhe. Immer noch war die unheimliche Angst da. Nervös blickte er zur offen stehenden...
nuhsarche