Sarah Lukas - Der Kuss des Engels.pdf

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Entdecke die Welt der Piper Fantasy:
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe
1. Auflage 2010
ISBN 978-3-492-95105-0
© Piper Verlag GmbH, München 2010
Umschlaggestaltung:
Guter Punkt, München
Umschlagabbildung: Anke Koopman unter Verwendung von Motiven von shutterstock
Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
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D er klapprige alte Jeep rumpelte über die Schlaglöcher und warf Rafael auf dem Sitz herum wie
auf einem bockenden Pferd.
»Hell of a bumpy ride.« Jack grinste, ohne die Straße aus den Augen zu lassen. Seine von der
kolumbianischen Sonne gebräunten Hände umklammerten das Lenkrad, um nicht die Kontrolle
über den Wagen zu verlieren.
Ein verdammt holpriger Trip – in der Tat. Rafael erwiderte das Grinsen, obwohl der Engländer es
nicht sehen konnte, weil sein Blick konzentriert nach vorn gerichtet war. Dabei hatten sie Glück,
denn die Piste war im April selten so trocken und damit passierbar. Andere freiwillige Helfer in der
Krankenstation hatten ihm erzählt, dass sich die Straßen in der Regenzeit oft in Schlammbäche
verwandelten, in denen auch die modernsten Fahrzeuge stecken blieben. Dann gab es kein
Durchkommen zum Flugplatz mehr, und die Ärzte mussten mit den verbliebenen Vorräten
auskommen, bis der Weg zum Nachschub wieder frei war.
Rafael warf einen Blick hinter sich auf die Kisten und Kartons, die sie geladen hatten. Waren die
Verpackungen genug gepolstert, um die Medikamente und medizinischen Geräte zu schützen? Jack
musste es wissen, denn der wettergegerbte Tropenarzt mit den tiefen Lachfalten war schon seit ein
paar Monaten im kolumbianischen Hinterland und fuhr die Strecke nicht zum ersten Mal. Er hatte
auch ihn zehn Tage zuvor vom Flugplatz abgeholt, der eigentlich nur eine von Häusern und Hütten
umstandene Schneise im Dschungel war.
»Goodness«, entfuhr es Jack. Er trat so heftig auf die Bremse, dass Rafael in den Sicherheitsgurt
geworfen wurde. Hinter einer Kurve war ein zerbeulter, blauer Laster in Sicht gekommen, der die
Fahrbahn blockierte. Dunkelhaarige Männer in olivgrüner Armeekleidung hatten sich davor und
auf der Ladefläche aufgereiht und richteten schwarze Gewehrläufe auf den Jeep, der in einer
Staubwolke zum Stehen kam.
Rafael schluckte. Noch nie hatte jemand mit einer Waffe auf ihn gezielt. Nervös sah er zu Jack
hinüber. Sollten sie nicht wenden und versuchen zu fliehen? Nein, in einem offenen Jeep war das
wohl keine gute Idee.
Der Engländer musterte die Guerilleros. Oder waren es Paramilitärs? Rafael hatte sich über die
Lage in Kolumbien informiert, bevor er nach Bogotá geflogen war, und wusste, dass sie in diesem
Krieg keiner Seite vertrauen konnten. Doch was nützte ihm das jetzt?
»Stay calm, Rafe«, wies Jack ihn an. »Bleib ruhig. Die haben es nur auf die Medikamente
abgesehen.«
Einer der Fremden, ein drahtiger Kerl mit Schnurrbart, trat einen Schritt vor, fuchtelte mit seinem
Revolver herum und brüllte: »Bajan del coche! Fuera! Fuera!«
Rafael musste kein Spanisch verstehen, um zu kapieren, dass sie aussteigen sollten. Sicher war es
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das Beste, diese Leute nicht durch Widerstand zu provozieren.
»Get out of the car«, bestätigte ihm Jack. »Aber langsam. Ich werde ihnen diesen Geleitschein von
Don Esteban zeigen. Dann werden wir sehen, was der wert ist.« Der Engländer öffnete die
Fahrertür und schob sich vom Sitz.
Widerstrebend folgte Rafael seinem Beispiel. Es fiel ihm schwer, den vermeintlichen Schutz des
Wagens aufzugeben. Fast wie in Zeitlupe stieg er aus und entfernte sich von der Autotür, während
Jack mit beschwichtigend erhobenen Händen spanisch auf die Guerilleros einredete.
»Rápido, rápido!«, blaffte der Anführer. Der Rest blieb für Rafael ein unverständlicher
Wortschwall. Er konnte nur zwischen Jack und dem Fremden hin- und herblicken, den überhaupt
nicht zu interessieren schien, was der Engländer von sich gab. Der Name Esteban fiel. Jack wollte
in die Innentasche seiner Jacke greifen, wo Rafe die fragwürdigen Schutzpapiere des
einflussreichen Don wusste. Sofort rissen die Bewaffneten alarmiert die Augen auf, griffen ihre
Gewehre fester.
»No!«, brüllte ihr Anführer noch lauter. »No la toques!«
Jack hielt inne, sprach mit einer Ruhe weiter, die Rafe in seiner wachsenden Panik nicht fassen
konnte. Unbeirrt näherte sich die Hand des Engländers erneut dem Revers.
»Nein, tu’s nicht!«, schrie Rafael in das Gebrüll des Guerilleros. Das letzte Wort ging bereits in
einem Schuss unter, dann sprachen nur noch die Waffen. Im nächsten Moment schlug Rafe schon
der Länge nach auf den harten, staubigen Boden und spürte seinen Körper nicht mehr. Seine
Augen starrten in den wolkigen Himmel, doch was er sah, war Sophies trauriges Abschiedslächeln.
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A uf diesem Stuhl hatte er gesessen. Plötzlich sah Sophie ihn so deutlich, dass sich ihr Herz
schmerzhaft zusammenzog. Er trug seine Brille anstelle der Kontaktlinsen, um unter den Studenten
der Sorbonne, die dieses Café gern besuchten, intellektueller zu wirken. Sie hatte gelacht, als sie
ihm auf die Schliche gekommen war, und er hatte ausgelassen eingestimmt. Nichts hätte ihm an
jenem Tag die Stimmung verderben können, das wusste sie. Er war glücklich gewesen, weil sie
seinen Heiratsantrag angenommen hatte – oben auf dem Rundgang um die weiße Kuppel von
Sacré-Cœur, das Häusermeer von Paris zu ihren Füßen und den Sommerwind in ihrem Haar.
Selbst durch das Brillengestell und die Gläser, die seine Augen ein wenig verkleinerten, hatte sein
Lächeln so viel Liebe ausgestrahlt, dass es sie jetzt noch wärmte. Sie spürte ihre Mundwinkel sich
wie von selbst aufwärts biegen, als sei ihr Gesicht ein Spiegelbild dessen, was die Erinnerung ihr
vorgaukelte.
»Un café?« Ein Kellner, der die weiße Schürze lässig um die Hüfte geschlungen hatte wie ein
Handtuch nach dem Duschen, schob sich zwischen sie und den Stuhl, der nun wieder leer im
ansonsten voll besetzten Lokal stand. Der Anblick wischte das Lächeln von ihren Lippen.
»Non, merci.« Sophie sah zu dem jungen Asiaten auf, ohne ihn wirklich wahrzunehmen. Ein
Kaffee hätte sie geweckt, ihre Gedanken geklärt, ihr die Wahrheit mit einer Schärfe bewusst
gemacht, der sie sich nicht gewachsen fühlte. »Die Rechnung, bitte.«
»Natürlich«, erwiderte der Kellner, während er mit geübten Griffen Teller und Besteck auf das
bereits waghalsig auf seinem Arm verteilte Geschirr stapelte und in einem Triumph über die
Schwerkraft davontrug. Er hatte es nüchtern gesagt, aber Sophies Ohren war der missbilligende
Unterton nicht verborgen geblieben. Die Ablehnung, das Unverständnis, die dahinter standen, hätte
sie an jedem anderen Abend mit einem Schulterzucken abgetan, doch jetzt drangen sie wie ein
giftiger Stachel in ihre schutzlose, wunde Seele. Unwillkürlich ließ sie Kopf und Schultern hängen,
während sie sich tiefer in ihr Inneres zurückzog. Es gab auf dieser Welt einfach keinen Platz mehr
für sie. Niemand begriff, was sie verloren hatte, nicht einmal ihre Mutter. Am allerwenigsten ihre
Mutter. Sie hatte Rafael nie gemocht.
Wortlos stellte der Kellner im Vorübergehen den kleinen Teller mit dem Kassenbon auf dem Tisch
ab. Mechanisch kramte Sophie ihr Portemonnaie aus der Jackentasche und legte das abgezählte
Kleingeld auf die Scheine, damit sie nicht heruntergeweht werden konnten. Sie war nun lange
genug in Paris, um sich wieder an die Tücken des französischen Alltags zu erinnern, die sie als
Ausländerin verraten konnten. Nicht, dass es darauf angekommen wäre, unerkannt zu bleiben, aber
als Fremdsprachenkorrespondentin hatte sie den Ehrgeiz, Land und Leute so gut zu kennen, dass
sie nicht als Deutsche auffiel. Täglich besuchte sie die Sprachschule, um jeden Rest eines Akzents
abzustreifen.
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